Geriatrische Patienten in der Tierarztpraxis

26. August 2022 — von F. D.

Nicht nur Menschen, auch Hunde und Katzen werden heutzutage durch gute Pflege und medizinische Versorgung immer älter. Alte, über die Zeit ergraute Patienten sind in tierärztlichen Praxen an der Tagesordnung und bringen altersbedingte Veränderungen und Bedürfnisse mit sich, die besondere Beachtung erfordern.

Viele Probleme auf einmal

Mit der gestiegenen Lebenserwartung unserer Haustiere häufen sich auch die geriatrischen Patienten in der Tierarztpraxis. Alter ist keine Krankheit, sondern ein natürlicher Prozess – aber mit den Jahren steigt die Wahrscheinlichkeit für bestimmte Erkrankungen und die Leistungsfähigkeit nimmt ab.

Geriatrische Patienten sind häufig multimorbide, bringen also viele verschiedene Probleme auf einmal mit. Die Behandlung älterer Patienten und altersbedingter Leiden hat mit der Geriatrie in der Humanmedizin sogar ein eigenes Fachgebiet.

Ein Grund für viele Beschwerden sind Verschleißerscheinungen: Die Elastizität von Geweben nimmt ab, was sich zum Beispiel an einer geringeren Dehnbarkeit der Lunge und Gefäße bemerkbar macht, Knorpelabnutzung führt zu arthrotischen Veränderungen und Knochen werden spröde.

Ein älterer Patient, der wegen einer Nierenproblematik in die Praxis kommt, kann durchaus auch an Arthrose leiden, auf einem Auge blind sein und kein vollständiges Gebiss mehr haben. Diese „zusätzlichen Wehwehchen” sollten natürlich auch nicht außer Acht gelassen werden, sind ab einem gewissen Alter aber zu tolerieren, solange sie die Lebensqualität des Tieres nicht übermäßig einschränken.

Keine einfachen Patienten

Alte Tiere sind keine einfachen Patienten. So werden zum Beispiel Narkosen deutlich risikoreicher und ihre Notwendigkeit muss besonders gut überdacht werden. Eine Narkose ist in keinem Alter risikofrei, kann aber für geriatrische Tiere häufiger zu Komplikationen führen. Das macht schon eine einfache Zahnsanierung bei geriatrischen Hunden und Katzen zu einem durchaus riskanten Eingriff.

Besonders wichtig ist bei Senioren die Früherkennung. So kann einer beginnenden Niereninsuffizienz gut mit der passenden Diät entgegengewirkt werden, während die Möglichkeiten im fortgeschrittenen Stadium schwinden. Der regelmäßige Gesundheitsvorsorge in der Praxis mit Rundum-Check ist daher bei älteren Tieren besonders wichtig.

Ab wann sind Hunde und Katzen alt?

Das hängt sowohl von der Rasse als auch der individuellen Konstitution ab. Genau wie bei uns Menschen gibt es auch Tiere, die länger fit sind als andere oder schon frühzeitig anfangen, merklich alt zu werden. Katzen haben eine Lebenserwartung von etwa 15 –18 Jahren, wobei einige Individuen auch 20 Jahre und älter werden können. Von einer geriatrischen Katze spricht man ab etwa 10 bis 12 Jahren.

Bei Hunden ist es etwas komplizierter, da unterschiedliche Rassen auch unterschiedliche Lebenserwartungen haben. Während Pudel und andere kleine Rassen durchaus 15 –16 Jahre leben können, erreichen sehr große Hunde wie zum Beispiel Deutsche Doggen oft nur ein Alter von 8 bis maximal 10 Jahren. Dementsprechend sind sie schon mit 6 oder 7 Jahren als „alt“ zu bezeichnen, kleine Rassen erst in einem deutlich höheren Alter. Viele Rassen haben zudem spezifische, durch Zucht bedingte Erkrankungen, die die Lebenserwartung vermindern können.

Besonders wichtig ist hier die Einschätzung der Tierbesitzer. Wer seinen Hund oder seine Katze gut kennt, merkt, wenn das Tier alt wird – und sollte dann regelmäßig zu Kontrollterminen in der Tierarztpraxis erscheinen.

Altersbedingte Veränderungen

Altersbedingte Veränderungen gibt es viele – von Arthrose über Trübungen der Augenlinsen bis hin zu Organveränderungen mit nachlassenden Stoffwechselleistungen ist eigentlich alles dabei. Viele Veränderungen sind dabei auf Verschleiß, nachlassende Durchblutung sowie Ressourcenverbrauch zurückzuführen.

Verminderte Durchblutung

Die verminderte Leistung des gesamten Herz-Kreislauf-Systems mit Abnahme der Gefäßelastizität ist eine ganz normale Alterserscheinung. Die Pumpleistung des Herzens lässt nach, Ablagerungen in Gefäßen erschweren den Blutfluss und eine verminderte Elastizität der Gefäßwände sorgt für eine verschlechterte Adaptionsmöglichkeit an unterschiedliche Belastungszustände.
Diese Faktoren haben eine verminderte Durchblutungsleistung zur Folge, was sich auf ganz verschiedene Art und Weise äußern kann. Die körperliche Leistungsfähigkeit nimmt insgesamt ab und Organe können schlechter mit Blut und somit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt werden.

Demenz bei Hunden und Katzen

Auch Tiere können unter Demenz leiden. Demenz ist zunächst ein Oberbegriff für nachlassende Leistung des Gehirns, die auch die altersbedingt verminderte Durchblutung zur Ursache haben kann. Von einer Alzheimerdemenz spricht man, wenn Ablagerungen von Eiweißen im Gehirngewebe die Symptome verursachen. Übergreifend werden die Symptome der Demenz als kognitive Dysfunktion bezeichnet.

Die Symptome einer Demenz bei Hunden und Katzen sind unspezifisch und werden oft als „normale“ Alterserscheinung abgetan – die Ursache liegt dabei aber im Gehirn. Häufige Symptome sind:

  • Vermehrte Müdigkeit und Desinteresse
  • Veränderter Schlafrhythmus ohne klare Trennung von Tag und Nacht
  • Ängstlichkeit
  • Verhaltensänderungen
  • Unsauberkeit im Haushalt, die vorher nie ein Problem war
  • Ständiges Wandern mit Desorientierung
  • Ins Leere starren, keine oder verzögerte Reaktion auf Ansprache
  • Nicht-Erkennen von bekannten Menschen und Hunden
  • Probleme bei der Ausführung von seit Jahren sicher gelernten Aufgaben

Die altersbedingte Demenz ist unheilbar und fortschreitend. Genau wie bei betroffenen Menschen können aber auch bei Tieren die Symptome medikamentös oder durch kognitives Training vermindert und hinausgezögert werden. So kann die Leistungsfähigkeit des Gehirns durch durchblutungsfördernde Stoffe gesteigert werden.
Als kognitives Training eignen sich lange Spaziergänge mit vielen neuen Eindrücken, das Spielen mit jüngeren Tieren und das Stellen von kleinen Herausforderungen im Alltag, wie das Erlernen einfacher neuer Tricks oder auch das Verstecken von Leckerlies, nach denen das Tier suchen muss. So kann das Gehirn spielerisch gefördert werden.

Geriatrisches Vestibularsyndrom

Unter einem Vestibularsyndrom versteht man eine Störung des Gleichgewichtssinns mit entsprechender Klinik. Die Ursache kann dabei zentral oder peripher sein, also im Gehirn oder im Innenohr liegen. Daneben gibt es noch das idiopathische Vestibularsyndrom, bei dem die Ursache unbekannt ist. Diese idiopathische Form, die bei Hunden und Katzen häufig im Alter auftritt, wird auch geriatrisches Vestibularsyndrom genannt.

Das geriatrische Vestibularsyndrom tritt meist perakut auf und verschwindet in vielen Fällen innerhalb von wenigen Tagen wieder. Die Symptome sind die einer Störung des Gleichgewichtssinns und der Koordination, obwohl der Patient auf ebenem Boden steht. Die Ausprägung der Symptome ist dabei ganz unterschiedlich und reicht von geringgradig bis hochgradig und anfallsartig.

So macht sich das Syndrom bemerkbar:

  • Kopfschiefhaltung zu einer Seite
  • Nystagmus (schnelle, zitternde Augenbewegungen)
  • Gangstörungen oder auch Unvermögen koordiniert zu laufen
  • Orientierungslosigkeit
  • Übelkeit, Erbrechen

Durch das perakute auftreten heftiger Symptome kann das geriatrische Vestibularsyndrom leicht mit einem Schlaganfall oder einem Krampfanfall verwechselt werden. Eine vollständige neurologische Untersuchung ist daher immer sinnvoll. Die Auslöser des Syndroms sind ungeklärt, vermutlich liegt der Ursprung aber im Innenohr, genauer gesagt in einer Störung der Endolymphe. Altersbedingte Durchblutungsstörungen könnten hierbei eine Rolle spielen.

Die Prognose für Patienten mit einem geriatrischen Vestibularsyndrom hängt von der Schwere der Symptome und der Behandlung ab. Die Behandlung ist am ehesten eine symptomatische mit Linderung der Übelkeit und Beruhigung. Zusätzlich hat der Einsatz von Durchblutungsförderern Erfolge gezeigt und wird häufig verwendet. In den meisten Fällen verschwinden die Symptome innerhalb von Tagen, teilweise können aber auch bleibende Schäden wie eine dauerhafte Kopfschiefhaltung bestehen bleiben.