Getreide im Hundefutter – gesund oder nicht?

29. September 2022 — von F.D.

Darf Getreide im Hundefutter enthalten sein oder sollte es lieber vom Speiseplan verbannt werden? Diese Frage sorgt sowohl unter Hundebesitzern als auch Fachleuten für ordentlich Diskussionsstoff. Um sich eine Meinung bilden zu können, muss man zunächst tief in die Geschichte eintauchen und auch die Genetik betrachten.

Der Hund ist kein Wolf - zumindest nicht ganz

Vor etwa 10.000–15.000 Jahren, in der letzten großen Eiszeit, entstand eine neue, hocherfolgreiche Partnerschaft: Die zwischen Mensch und Wolf. Theorien zu der genauen Entstehung gibt es einige, wahrscheinlich bot das Zusammenleben Vorteile für beide Spezies. Die Wölfe konnten sich an den Jagdresten der Menschen satt fressen und bewachten dadurch, ganz nebenbei, die Lagerplätze der Menschen. Ein Lagerplatz, in dessen Nähe sich ein Wolfsrudel aufhält und es im Zweifel auch als Futterquelle verteidigt, ist vor anderen Rudeln und weiteren Tieren wie zum Beispiel Bären deutlich besser geschützt. Bei Menschen aufgezogene Welpen könnten dabei die ersten richtigen „Haus“wölfe gewesen sein und die Gruppe als ihr Rudel betrachtet haben.

Wie auch immer das Zusammenkommen abgelaufen sein mag, es führte letztendlich zur Domestikation des Wolfes und der Hund entstand – der beste Freund des Menschen. In der langen Zeit, die Hunde schon mit uns zusammenleben, haben sie sich verändert und immer weiter vom Ursprungstier Wolf entfernt. Auf die hochinteressanten evolutionären Veränderungen vom Wolf zum Hund sind wir in einem eigenen Artikel näher eingegangen. Diese reichen von Veränderungen in Form und Farbe bis hin zur Ausprägung von Gesichtsmuskulatur zur erleichterten Kommunikation mit uns Menschen.

Was unterscheidet die Verdauung von Wolf und Hund?

Wölfe sind keine reinen Carnivoren, genauer gehören sie zu den Carni-Omnivoren. Sie sind darauf ausgelegt, ihr Beutetier als Ganzes zu fressen – und dazu gehört neben dem Muskelfleisch zum Beispiel auch der Mageninhalt der Beute. Da diese in den allermeisten Fällen Pflanzenfresser sind, können auch Wölfe bis zu einem gewissen Umfang pflanzliche Nahrung und in Maßen sogar Stärke verdauen.

Genau wie der Wolf ist auch der Hund kein reiner Fleischfresser, pflanzliche Nahrung kann er sogar bedeutend besser als der Wolf verdauen. Vor allem in der Aufspaltung von Stärke aus Getreide hat der Hund einen Vorteil: Durch eine vermehrte Amylaseaktivität besitzt er eine deutlich höhere Toleranz in der Kohlenhydratverdauung.

Von Stärke und Amylase

Getreide wie Weizen, Roggen, Reis und auch Kartoffeln sind enorm Stärkereich. Stärke zählt zu den Kohlenhydraten und ist ein Polysaccharid-Makromolekül. Sie steckt voller nutzbarer Energie, vorausgesetzt, man besitzt das Enzym Amylase und kann sie somit aufspalten. Die im Verdauungstrakt vorkommende Alpha-Amylase kann Stärke-Polysaccharide in Maltose, Maltodextrose und verschiedene Oligosaccharide aufspalten und sie somit für den Organismus nutzbar machen. Wir Menschen besitzen fünf Isoformen der Alpha-Amylase, die im Speichel und im Bauchspeicheldrüsensekret vorkommen. Durch die enzymatische Aktivität im Speichel können wir Stärke daher bereits beim Kauen aufspalten. Brot schmeckt daher süß, wenn man es lange kaut, denn irgendwann kann man die abgespaltenen Zucker schmecken. Auch Hunde haben Amylase, und zwar deutlich mehr als der Wolf. Im Speichel ist sie nicht zu finden, dafür aber in gar nicht mal so geringer Menge im Bauchspeicheldrüsensekret – der Verdauungstrakt des Hundes ist somit dazu in der Lage, gewisse Mengen Stärke aus Getreide oder ähnlichem aufzuspalten und zu verwerten.

Selektion auf die Fähigkeit, Stärke zu verdauen

Die Fähigkeit zur Verdauung von Stärke hängt mit der Anzahl von Kopien des Speichelamylase-kodierenden Gens AMY1 zusammen. Je mehr Kopien ein Mensch besitzt, desto besser kann Stärke aufgeschlüsselt und verwertet werden. Auch wir Menschen können nicht schon immer im gleichen Maße wie heutzutage Stärke verdauen – die Fähigkeit dazu baute sich erst mit der Umstellung auf eine stärkereiche Diät auf.

In der Jungsteinzeit wandelte sich die Lebensweise der Menschheit von einer Jäger- und Sammlergesellschaft zu einer sesshaften Ackerbau und Viehzucht betreibenden. Dieser Wandel vollzog sich nicht überall auf der Welt zur gleichen Zeit, sondern begann im fruchtbaren Halbmond in Vorderasien um 10.000 v. Chr. und breitete sich von dort über Jahrtausende auf die weitere Welt aus. Je mehr Getreide, Knollen und Produkte daraus verzehrt wurden, desto besser passte sich auch der Verdauungsapparat des Menschen an die getreidereiche Nahrungsquelle an. Wer zufällig mehr Genkopien zur Stärkeverdauung besaß, hatte eine höhere Chance, gut genährt zu sein und mehr Nachkommen zu zeugen. Das kann noch heute beobachtet werden, denn nicht überall auf der Welt besitzen Menschen gleich viele Kopien des AMY1-Gens. So finden sich deutlich weniger bei den ursprünglichen Völkern im russischen Jakutien, die sich hauptsächlich von Fleisch und Fisch ernähren, als bei Mitteleuropäern mit Getreide als Grundnahrungsmittel.

Wir Menschen sind nicht die einzigen mit vielen Genkopien zur Stärkeaufspaltung, auch unsere Haushunde besitzen sie. Bei ihnen ist das Gen AMY2B dafür verantwortlich. In einer Studie[1], die Genmaterial von Wölfen, frühen domestizierten Hunden und heutigen Hunden verglich, konnte gezeigt werden, dass Wölfe im Schnitt deutlich weniger Genkopien als heutige und auch frühe Haushunde besitzen. Das legt den Schluss nahe, dass Hunde gemeinsam mit uns Menschen die Fähigkeit entwickelt haben, Stärke aufzuspalten und als Nahrungsmittel zu nutzen. Auch hier gab es vermutlich einen klaren Selektionsvorteil für die Individuen, die nicht nur das Fleisch, sondern auch die Getreide- und Knollenhaltigen Abfälle der Siedlungen fressen konnten. Genau wie bei uns Menschen haben auch nicht alle heute bekannten Hunderassen gleich viele Kopien des AMY2B-Gens. So haben Hunderassen aus arktischen Regionen, wie zum Beispiel der sibirische Husky, nur sehr wenige Kopien. Da diese Gegend frei von Ackerbau ist, unterstützt dies die Hypothese, dass sich die Fähigkeit der Stärkeverdauung bei Hunden im Zusammenhang mit dem Beginn des Ackerbaus der Menschen entwickelt hat.

Innerhalb der Hundepopulation schwankt die Ausstattung mit Kopien von Amy2B. Daher lässt sich kein klarer “Grenzwert” für die Stärkeverdauung festlegen und es besteht weiterer Forschungsbedarf zur Relevanz der exakten Kopienanzahl.

Gehört Getreide ins Hundefutter?

Hunde sind genetisch darauf ausgelegt, Stärke zu verdauen – vermutlich, weil sie seit tausenden von Jahren mit Ackerbau betreibenden Menschen zusammenleben. Hunde können also Getreide verdauen und die enthaltene Stärke als sinnvolle Energiequelle nutzen. Ein häufig aufgebrachtes Argument gegen Getreide im Futter ist die Gefahr von Allergien. Hunde können massive Allergien gegen Getreide, meistens gegen die enthaltenen Proteine, entwickeln. Tatsächlich ist Getreideprotein aber nicht allergener als andere Proteine – die Wahrscheinlichkeit einer Allergie ist ähnlich hoch wie die einer gegen verschiedene tierische Proteine.

Was spricht gegen Getreide im Hundefutter?

Hunde mit Allergien gegen Getreidebestandteile wie zum Beispiel Weizenprotein sollten kein getreidehaltiges Futter bekommen – genauso, wie auch Hunde mit Allergie gegen Rindfleischprotein dieses nicht bekommen sollten. Getreide ist dann unbedingt zu vermeiden. Gegen Getreide spricht zudem der hohe Energiegehalt. Das kann vor allem für adipöse oder zu Übergewicht neigende Hunde ein Problem werden, da mit getreidehaltigem Futter der Energiebedarf bei zu geringer sportlicher Betätigung leicht überschritten werden kann.

Was spricht für Getreide im Futter?

Hunde sind dazu in der Lage, Stärke aufzuspalten und zu nutzen – ob diese aus Knollen wie Kartoffel und Süßkartoffel oder aus Getreide stammt, ist für den Verdauungsvorgang an sich nicht entscheidend. Getreide stellt somit – natürlich ausschließlich für Hunde, die es vertragen – eine sinnvolle Energiequelle dar. Da es kostengünstig ist, lässt sich somit über einen Getreideanteil auch energetisch wertvolles Hundefutter für den kleinen Geldbeutel herstellen. Ganz nebenbei verringert es den Fleischanteil im Futter und somit den ökologischen Fußabdruck des Vierbeiners.

Abschließend kann gesagt werden, dass es über die „richtige“ Hundefütterung unzählige Meinungen gibt – recht hat jeder, der seinen Hund mit allen Nährstoffen, die er für ein gesundes Hundeleben braucht, versorgt. Das kann mit oder ohne Getreide der Fall sein und eine ordentliche Rations- und Bedarfsberechnung ist für jeden Hund sinnvoll.