Immer im Einsatz — wie man zum Rettungshund wird

07. Oktober 2020 — von Jasmin Radel

Denkt man an Rettungshunde, schießt einem womöglich gleich das verklärte Bild vom treuen Bernhardiner in den Kopf, wie er da mit seinem Holzfässchen Richtung Einsatzort schlendert. Oder vielleicht auch jenes von Lassie, die einem mit drei einschlägigen Bellern mitteilen konnte, wer wann wo und wie verunglückt ist. Aber wie sieht denn der Arbeitsplatz eines Rettungshundes nun wirklich aus? Wer bringt ihm all sein Wissen bei? Und vor allem wie? Und muss man im Dienst dann tatsächlich ein kleines Holzfässchen mit Schnaps für alle Lebenslagen um den Hundehals tragen?

Jasmin von Inuvet ist all diesen Fragen auf den Grund gegangen und hat dafür Gabi Piskol von der Rettungshundestaffel des Landkreises Biberach interviewt.

Gabi, schieß los, was machst du denn jetzt genau für den BRH und in den jeweiligen lokalen Vereinsstaffeln?

Gabi: Primär kümmere ich mich um die fundierte Ausbildung unserer zwei- und vierbeinigen Mitglieder. Ebenfalls obliegt mir bei den Einsätzen die sogenannte »Zugführung«, dies dann auch staffelübergreifend.

Das heißt, es gehen immer mehrere Staffeln zu einem Einsatzort?

Gabi: Das kommt darauf an, wie groß dieser Einsatz ist und was auch an Hilfe bei angrenzenden Staffeln dafür angefordert wird. Wir durchkämmen ja nicht nur Wiesenabschnitte, sondern oft ganze Gelände mit 50.000 m² aufwärts.

Erzähl mir mehr, wer seid ihr als Rettungshundestaffel des Landkreis Biberach e.V.?

Gabi: Wir gehören zur Dachorganisation des Bundesverbandes Rettungshunde. Das musst du dir vorstellen, wie bei den Maltesern oder dem Roten Kreuz; hier hat ja auch jeder Landkreis seinen eigenen Unterverein. Unser Verein zählt derzeit 35 aktive Mitglieder im Alter von 17 – 72 Jahren mit verschiedenen Einsatzgebieten. Unser Verein führt 26 geprüfte Hunde in der Fläche und 10 geprüfte Hunde in Trümmern.

Was gibt es denn für Einsätze oder Einsatzgebiete?

Gabi: Generell suchen wir lediglich vermisste Personen ohne kriminelle Hintergründe, also jemand, der im Landkreis verschwunden und nicht mehr nach Hause gekommen ist, sich womöglich verlaufen hat. Das können Kinder sein, ältere Menschen, Patienten einer Klinik, suizidale Menschen, aber auch Unfallopfer. Wenn also bei einem Verkehrsunfall ein Beteiligter fehlt, kann es sein, dass er im Zustand eines Schocks vom Unfallort wegläuft und sich verirrt. Im schlimmsten Fall panisch verwirrt und auch verletzt. Wir haben für solch eine Suche die Hunde für den Fachbereich der Flächensuche dabei. Das sind die, die das Gelände mit ihren Hundeführern durchkämmen und auf der Suche nach solchen vermissten Personen sind. Daneben gibt es noch spezielle Trümmersuchhunde, die dazu ausgebildet sind, verschüttete Menschen zu orten und sich auch in unwegsamen Gebieten zurecht zu finden. Und wir haben noch spezielle »Mantrailer«, die anhand von Geruchsproben (Kleidung) nach dem Individualgeruch dieses einen Menschen suchen und so die Richtung erschnüffeln, in welcher sich der Vermisste bewegt hat.

Das klingt ja hochinteressant. Aber wer darf denn bei einer Hundestaffel überhaupt mitmachen? Also muss man da schon einen gewissen »Rettungshintergrund« haben?

Gabi: Nein. Mitmachen darf einfach jeder, der sich engagieren will. Man braucht keine spezielle Ausbildung im Vorfeld oder einen bestimmten Werdegang. Es muss einem aber bewusst sein, dass so eine Ausbildung für Hund und Halter nicht nur ein Hobby, sondern sehr zeitintensiv und mit Disziplin verbunden ist. Es macht enorm viel Spaß, aber es ist halt kein Unterhaltungsprogramm für nebenher. Das ist ein professioneller Job. Du brauchst geistige wie körperliche Fitness und ein Händchen für den Umgang mit Mensch und Tier. Gut ist, wenn man einen sozialen Hintergrund mitbringt. Ich bin beispielsweise früher im Rettungsdienst aktiv gewesen. Das ist natürlich kein Muss, aber so ganz fremd sollte einem die Materie “Mensch in Not” nicht sein.

Muss der Hund eine bestimmte Qualifikation mitbringen? Eine Begleithundeprüfung oder so?

Gabi: Nein, auch nicht unbedingt. Wichtig ist, dass der Hund willig sein muss, mit seinem Menschen zusammenzuarbeiten. Also eine vertraute Nähe und Bindung zwischen Hund und Halter ist Voraussetzung, damit daraus ein festes und sicher agierendes Team wachsen kann.

Eignet sich denn jede Hunderasse dafür ein Rettungshund zu werden?

Gabi: Am besten lässt sich mit Arbeitsrassen wie zum Beispiel Schäferhunden, Hüte- oder Jagdhunden trainieren. Also alle Rassen, die dafür gezüchtet wurden, mit dem Menschen zusammen zu arbeiten.

Und wie sähe das bei einem Dackel aus? Ist ja auch ein Jagdhund?

Gabi: Dackel lassen sich, wenn sie keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen haben, super einsetzen. Wir haben sogar einen im Team. Diese Rasse leistet gute Arbeit im Mantrailing und kommt auch in Trümmergebieten schon mal dorthin, wo ein größerer Hund scheitern würde.

Welche Wesenszüge sind bei einem Hund erforderlich?

Gabi: Er muss auf jeden Fall arbeitsfreudig sein, das heißt, wenn du einen Ball, Stock oder ähnliches in der Hand hast, sollte dein Hund daran, und vor allem in Verbindung mit dir Interesse, zeigen. Ein freundliches und empathisches Wesen ist auch eine Grundvoraussetzung. Ebenfalls ist Spielfreude wichtig, um sie für Belohnungszwecke einzusetzen.

Wie alt muss ein Hund sein, um mit der Ausbildung anzufangen?

Gabi: Das geht eigentlich schon recht früh Alter von 8 – 12 Wochen los. Ab da wird angefangen, neben dem Gehorsam im Alltag und Kennenlernen der Umwelt, kleine Übungen zu machen. Der Hund lernt spielerisch, dass Menschen toll sind und es sich absolut lohnt solche aufzuspüren. Es muss aber immer altersgerechtes Lernen sein und man darf den Kleinen nicht überfordern. Das geht Stück für Stück in eine Ausbildung zum Begleithund über, bis hin zu den Vorprüfungen für Rettungshunde. Sind diese Stationen durch, kann ein Hund mit 18 Monaten zur Hauptprüfung zugelassen werden.

Und wie alt muss ein Halter sein?

Gabi: Trainieren geht, sobald ein Jugendlicher und sein Hund diese bestimmte Vertrauensbindung haben, sie diesen Job gemeinsam machen wollen und die Eltern das auch unterstützen. In den Einsatz kann man aber erst, wenn man als Hundeführer volljährig ist.

Wie alt darf ein Hund als Rettungshund werden? Gibt es eine Höchstaltersgrenze?

Gabi: Solange wie er körperlich und geistig fit ist und seine Riechleistung noch den Prüfungsansprüchen genügt, sind Einsätze möglich. Die Riechleistung eines Hundes lässt ab etwa dem 10. Lebensjahr nach. Da diese aber einen Hauptteil des Jobs ausmacht, wird sie nach der ersten bestandenen Prüfung jährlich immer wieder geprüft. Scheidet ein Hund aus dem aktiven Dienst aus, gehört er aber bei uns noch lange nicht aufs Abstellgleis. Für die Senioren bieten wir spezielle Trainings an, damit sie immer noch etwas zu tun haben und nicht abrupt mit dem, was jahrelang ihr »Job« war, aufhören müssen.

Wie sieht eine Prüfung zum Rettungshund aus und ab wann darf ein Hund diese machen?

Gabi: Grundlegend gibt es gar keine Abschlussprüfung als solche, wie jetzt in der Schule. Vielmehr sind es einige kleinere Prüfungen, die den Hund und seinen Menschen immer weiter qualifizieren und eben »voranbringen«, zu größeren Einsatzgebieten und Anforderungen. Ein Team – also ein Halter und sein Hund – bekommt nach bestandener Begleithundeprüfung und Rettungshunde-Vorprüfung ein Suchgebiet von ca. 25.000 bis 30.000 m². Auf dieser Fläche versteckt der Leistungsrichter ein bis drei Personen. Das Team muss nun die Fläche innerhalb von 25 Minuten absuchen und dabei bestmöglich alle Personen finden. Geprüft wird jeder Hund ab einem Alter von 18 Monaten und dies in der Folge dann auch jährlich mit verschiedenen Aspekten und Anforderungen, was die zu suchenden Personen und die Beschaffenheit des Gebietes angeht. Ist das Team grundgeprüft, folgt eine sogenannte Einsatzüberprüfung, bei der eine Fläche von ca. 100.000 m² abzusuchen ist.

Und was wird dabei dann genau geprüft bzw. was muss das Team bis da sicher können?

Gabi: Viel Nasenarbeit, gefolgt von Gewandtheit. Das ist ähnlich wie Agility, wird aber langsamer und kontrollierter durchgeführt. Der Hund muss beispielsweise über eine Wippe und dabei den Kipppunkt selbstständig abschätzen bzw. ausbalancieren oder er muss auf unangenehmen Untergründen wie Schutt gut und sicher laufen können. Weiter wird geübt, den Hund auf Distanz zu lenken. Er wird also nacheinander zu zwei Zielen geschickt und von dort aus dirigiert, weitergeleitet bzw. abgerufen.

Das ist ja echt richtig Arbeit für den Hund.

Gabi: Nicht nur für diesen. Auch der Hundehalter muss sich Prüfungen unterziehen, wie Orientierung, Suchtaktik, Erste Hilfe an Mensch und Hund, Rettungsfunk und schlussendlich die allgemeinen Grundlagen und Statuten des Vereins.

Gibt es mehr Frauen oder Männer in der Hundeführung?

Gabi (lacht): Ganz klar, mehr Frauen.

Weil?

Gabi: Die meisten Frauen haben das bessere Händchen für den Hund. In der technischen Ortung und Zugführung sieht es natürlich wieder anders aus. Da sind die Männer mehr im Element.

Wie sieht eine Trainingswoche aus?

Gabi: Zweimal die Woche treffen wir uns und man trainiert von Unterordnung über Gewandtheit, Nasenarbeit, Lenkbarkeit eigentlich alles. Ebenso ist das Anzeigen von Funden wichtig, denn wenn der Hund dem Hundeführer nicht mitteilen kann, dass er jemanden gefunden hat, bringt die beste Suche nichts. Dafür gibt es drei spezielle Anzeigeformen: Bellen, Bringsel vorzeigen sowie Freiverweise. Letzteres ist das Aufspüren der Person gefolgt vom Zurückkommen zum Hundeführer, um bei ihm den Fund beispielsweise durch Anspringen anzuzeigen.

Und wo trainiert man das alles?

Gabi: Unterordnung und Gerätearbeit werden mit den Hunden auf dem Hundeplatz trainiert. Flächensuche geht fast überall in Wald und Flur. Mantrailing, also die Personensuche über den individuellen Geruch dieser, ist überall durchführbar. Also auf dem Land sowie in der Stadt.

Fahrt ihr auch mal in ein Trainingscamp mit besonderen Anforderungen oder Herausforderungen?

Gabi: Der BRH hat drei spezielle Trainingscenter (NRW, Schleswig-Holstein und BaWü), die eben ganz spezielle Angebote stellen, was Umgebung, Landschaft oder unwegiges Gelände angeht. Die kann man dann als komplette Staffel nutzen oder individuell mit seinem Hund an den dortigen Ausbildungsveranstaltungen und Seminaren teilnehmen.

Und was wird grade dort dann speziell trainiert?

Gabi: Mit jungen Hunden trainiert man zum Beispiel, sich sicher und selbstbewusst auf wackeligen Untergründen zu bewegen. Einsatzhunde kriegen speziell an den Ausbildungsstand und ans Team angepasste Herausforderungen.

Wie muss man sich das mit den Belohnungen vorstellen? Wie bei Drogenspürhunden, die nach dem Anzeigen eines Fundes gleich ihr Spielzeug kriegen?

Gabi: Jeder Fund muss natürlich eine Belohnung mit sich bringen. Was das aber nun genau ist, entscheidet jedes Team ganz individuell für sich. Das kann jetzt ein Ball, ein Futterdummy oder ein gekochtes Ei sein. Am Schluss eines Einsatzes gibt es abschließend eine Endbelohnung, die dann signalisiert, dass der Job getan ist und es jetzt wieder nach Hause geht.

Wann werdet ihr denn zu einem Einsatz gerufen?

Gabi: Immer dann, wenn es um eine Personensuche geht, bei deren Verschwinden kein Verbrechen zugrunde liegt. Eine Trümmersuche kann dann aber auch schon mal stattfinden, wenn es eine Gasexplosion gab und Gebäude eingestürzt sind.

Und wie sieht so ein Rettungshundeeinsatz dann aus? Ähnlich, wie bei der Feuerwehr? Alle leinen ihren Hund an und rennen los?

Gabi (lacht): Nein, ganz im Gegenteil. Die Alarmierung bzw. Anforderung einer Rettungshundestaffel kommt von der Polizei oder einer Nachbarstaffel, wenn in einem anderen Landkreis Bedarf für einen größeren Gebiets Einsatz ist. Für jeden Einsatzort gibt es einen einheitlichen Treffpunkt in voller Montur für alle. Dabei bleiben die Hunde immer zuerst im Auto bis die Einsatzlage besprochen wurde, Gebietsaufteilung für die Teams festgelegt und alle einfach im Bilde sind. Und dann startet die Suche. Ohne Hektik, sondern mit Planung und ruhiger Hand an der Leine.

Was zählt zu eurer Ausrüstung?

Gabi: Bei den Hundeführern ist das je nach Einsatzlage und Wetter das entsprechende Schuhwerk, Einsatzhose und Weste in Tagesleuchtrot. Zur Hundeausrüstung gehören bei den Flächensuchhunden eine sogenannte Kenndecke oder ein speziell gekennzeichnetes Brustgeschirr, eine lange Leine sowie die jeweilige, individuelle Belohnung. Ganz wichtig sind auch das Erste Hilfe Kit für Hund und Mensch, Trinken für Hund und Mensch, kleine Energie-Verpflegung wie Müsliriegel für die Hundeführer, GPS-Gerät zur Orientierung, Kompass, Schutzbrille für dichtes Gestrüpp, Funkgerät, Taschenlampe, Beleuchtung für den Hund und natürlich das gute, alte Handy.

Was darf man bloß nie vergessen?

Gabi: Logischerweise den Hund. Nein, Spaß beiseite, immer dabei sein sollten Handy, vollständige Einsatzkleidung, Wasser und Belohnung für den Hund.

Was war bislang dein härtester Einsatz?

Gabi: Also der härteste in Form von größte Einsatz war der Vermissten-Fall von Maria Bögerl (https://de.wikipedia.org/wiki/KriminalfallMariaB%C3%B6gerl). Der ging über ganze drei Tage mit voller, aktiver Beteiligung von Hund und Hundeführer. Bei dieser Einsatzlage haben wir auch alle verschiedenen Teams benötigt. Die Mantrailer, die nach Geruchsprobe von der Person nach dieser suchen und die Flächensuchhunde, die den Mensch als “Opfer” generell aufspüren.

Wie ist das genau, rettet oder bergt ihr?

Gabi: Weder noch, wir suchen und finden und machen die Erstversorgung bis der Rettungsdienst kommt. Außer es liegt ein Leichenfund vor. Dann müssen wir den Bereich absperren, die Polizei alarmieren und an diese übergeben.

Wie oft kommt es denn zu einem Einsatz?

Gabi: Durchschnittlich von einem Mal im Monat bis hin zu viermal im Monat.

Werdet ihr eigentlich auch mal ins Ausland abgerufen? Ski- oder Klettergebiete?

Gabi: Nein, unserer Staffel im Speziellen jetzt nicht. Für Auslandseinsätze gibt es eine ganz eigene Truppe beim BRH. Das sind spezieller ausgebildete Hunde mit einer ganz anderen Ausrüstung. Diese Staffeln strukturieren und organisieren sich selbst völlig autark.

Gibt es lustige Anekdoten?

Gabi: Ich war mal bei einer Vermisstensuche einem Gebiet zugeteilt, in dem mein Hund auch tatsächlich mit zwei Menschen fündig wurde. Die wollten halt nur grade in diesem Schäferstündchen-Moment nicht wirklich gefunden werden. Da steht man dann natürlich schon peinlich berührt da, denn der Hund weiß ja nun nicht, dass das, was er gefunden hat nicht das ist, wonach wir gesucht haben. Die Erfolgsminute mit Lob und Streicheleinheiten muss ich ihm aber dennoch geben. Und da kann eine Minute dann schon mal ziemlich lang sein. (lacht)

Abschließend noch eine enorm wichtige Frage: Woher kommt eigentlich das Klischee vom Bernhardiner mit Schnapsfässchen? Gabs das wirklich jemals in der Form als Rettungshund?

Gabi: Auf dem St. Bernhard gab es die tatsächlich für vermisste Wanderer. Ob dabei jetzt aber Schnaps, Branntwein, Rum oder sonstwas in dem Fässchen war, ist nicht belegt.

Ein spannendes Interview zu einem noch spannenderen Thema, wie wir finden und bedanken uns ganz herzliche bei Gabi Piskol für all die detaillierten Infos rund um ihren und Ayleens Job bei der Rettungshundestaffel.

Zur Person

Gabi Piskol ist 45, kommt aus Bellenberg (Bayern) und ist beim »Bundesverband Rettungshunde«, kurz BRH, nun über 25 Jahre auch bekannt wie ein bunter Hund. Seit 1995 ist sie Mitglied und eine der zuständigen Personen rund um die Ausbildung von Hund und Halter. Mit ihrer Australian Shepherd Hündin Ayleen ist sie in mehreren Staffeln im Landkreis im Einsatz. Die Spezialgebiete der beiden sind hierbei die Biologische Ortung (Aufspüren im Gelände via Flächensuche), Trümmersuche und Mantrailing.