“Phytotherapie erweitert einfach unseren Werkzeugkoffer “

“Phytotherapie erweitert einfach unseren Werkzeugkoffer “

Ab in die Steinzeit … Du liest “Phytotherapie erweitert einfach unseren Werkzeugkoffer “ 6 Minuten Weiter Wie das juckt! Atopische Dermatitis und ihre Behandlung
Wie verändert der Einsatz von Phytotherapie den Praxisalltag? Was sind Vorurteile, Chancen und Möglichkeiten? Ist das eigentlich dasselbe wie Homöopathie? Fragen, die Tierärztin Pia Ana Bittermann immer häufiger begegnen - uns gibt sie einen Einblick in ihre Praxis und die phytotherapeutische Arbeit.

Pia, du hast ein ÖTK Diplom in der Phytotherapie - was bedeutet das?

Ganz verkürzt könnte man sagen, dass das bedeutet, dass ich mich zusätzlich zu meinem Studium der Veterinärmedizin auch noch dazu entschieden habe, mehr über pflanzliche Medizin zu lernen. Und jetzt als praktizierende Tierärztin eben auch mit pflanzlichen Präparaten arbeite.

Wie sieht das konkret im Alltag aus? Welchen Patienten behandelst du am häufigsten pflanzlich?

Das sind wirklich verschiedenste Patienten. Wenn ich mich auf einen festlegen müsste, wären es aber geriatrische Patienten, das heißt vor allem ältere Hunde mit chronischen Schmerzen. In den meisten Fällen ist der Bewegungsapparat, vor allem bei großen Hunden, eine Schwachstelle und den kann man hervorragend phytotherapeutisch unterstützen. Zum Beispiel mit Weidenrinde, Teufelskralle und Hagebutte - damit hat man bei diesen Patienten dann wirklich langfristig durchschlagende Erfolge.

Wenn wir das Wort Phytotherapie so in den Raum werfen - was ist das größte Vorurteil ihr gegenüber?

Dass sie sehr oft mit Homöopathie gleichgesetzt wird. Und hier befindet sich der gravierende Unterschied: die Phytotherapie ist im Gegensatz zur Homöopathie evidenzbasiert, heißt, ihre Wirkung basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Wenn man das jedoch nicht weiß, ist es eine verständliche Reaktion zu sagen, dass man für etwas, von dem nicht bewiesen ist, dass es funktioniert, kein Geld ausgibt. Da fehlt häufig einfach leider das nötige Wissen.

Welches Wissen wäre da noch essentiell zu haben für Besitzer*innen?

Neben der tatsächlichen Wirksamkeit, die wissenschaftlich bewiesen ist, wäre da auf jeden Fall noch der Faktor des Vorbeugens von Erkrankungen. Es gibt so extrem gute phytotherapeutische Möglichkeiten der Gesunderhaltung von Tieren… zum Beispiel wenn wir an den Bewegungsapparat bei viel belasteten Hunden denken oder an den Aufbau einer gesunden Darmflora bei Hund und Katze. Denn es ist natürlich auch für die Tierbesitzer*innen viel schöner, ein gesund erhaltenes Tier zu haben, als mit einem kranken Tier oft in die Praxis kommen zu müssen.

Wie vermittelst du das skeptischen Besitzer*innen oder auch Kolleg*innen?

Wenn das Wissen fehlt? Aufklärung! Ich habe mittlerweile so viele positive Beispielfälle an der Hand, sodass die Erklärung nicht schwerfällt. Und wenn die Besitzer*innen nach der Gabe eines phytotherapeutischen Präparates erstmal von der Wirkung überzeugt sind, liegt es ihnen am Herzen, die Behandlung nicht abzubrechen, sondern weiterzumachen, zum Beispiel im Fall einer chronischen Krankheit.

Die Überzeugung kommt also aus einer Mischung aus Erklären und selbst versuchen?

Häufig, ja. Aber etwas muss ich da noch hinzufügen. Es ist nämlich nicht so schwarz-weiß, wie es jetzt vielleicht klingt. Phytotherapeutika werden häufig auch in Kombination mit Schulmedizin angewandt - zum Beispiel ein pflanzlicher Magenschutz zu den synthetisch hergestellten Schmerztabletten. Das muss sich gar nicht ausschließen oder widersprechen. Das ist meiner Meinung nach tatsächlich eine absolute Stärke der Phytotherapie. Sie kann eine Behandlung mit der Schulmedizin eben auch ideal ergänzen und weiterführen und muss sie gar nicht gänzlich ersetzen. Ein weiterer positiver Aspekt hierbei ist, dass man durch den Einsatz von Phytotherapeutika die starken Nebenwirkungen, die manche synthetischen Arzneimittel mit sich bringen, minimieren kann.

Welcher Aspekt wird deiner Meinung nach an der Phytotherapie unterschätzt?

Dass sie teilweise sogar mehr bietet als die Schulmedizin. Alle synthetisch hergestellten Arzneimittel sind so ausgerichtet, dass sie gegen ein bestimmtes Leiden, ein Symptom, helfen. In der Natur ist das nicht so - zum Beispiel in der Teufelskralle sind verschiedene Inhaltsstoffe – manche davon helfen dem Bewegungsapparat, vor allem bei degenerativen Gelenkserkrankungen, aber andere Inhaltsstoffe wiederum unterstützen den Verdauungsapparat. Das bedeutet, in den Pflanzen findet man ein komplexes Wirkstoffgemisch, das sich aus einer Vielzahl chemischer Substanzen zusammensetzt, somit kann man eine breitere Wirkung erzielen. Das finde ich absolut faszinierend!

Wenn ich jetzt daran denke, wofür man Phytotherapie nicht einsetzen kann, würde mir direkt Antibiotikum einfallen. Welche Limitationen gibt es denn bei pflanzlicher Therapie?

Da denkst du erstmal natürlich richtig - aber in gewisser Weise verändert sich das auch. Wir sehen immer mehr Antibiotika Resistenzen und eben da kann auch pflanzliche Therapie eingesetzt werden. Zum Beispiel Manuka-Honig - der wirkt auch antibakteriell und wir sehen da ähnliche Indikationen wie bei Antibiotika. Das ist natürlich eine riesen Chance, auch mal ohne Antibiotika auszukommen. Aber natürlich gibt es dann auch Fälle, in denen es trotzdem sein muss. Da könnte man jetzt sagen, die Phytotherapie erweitert einfach unseren Werkzeugkoffer und wir haben mehr Möglichkeiten zur Auswahl - eben sowohl aus der Schulmedizin, als auch aus der Phytotherapie.

Wie ist das Interesse an diesem Werkzeugkoffer - interessieren sich viele Tierärzt*innen und Besitzer*innen dafür?

Das Interesse steigt auf jeden Fall, was ich persönlich super finde. Denn nur so kann sich das Wissen und die Anwendung von Phytotherapie ausbreiten.

Woran merkst du dieses steigende Interesse?

Menschen kommen auf mich zu und stellen Fragen! Das finde ich immer großartig - und das machen verschiedene Menschen, also Tierbesitzer*innen, Kolleginnen und Kollegen und auch TFA und Tierärztliche Ordinationsassistent*innen, die sich dafür interessieren. Früher - zumindest bei mir im Studium und direkt danach - war die Phytotherapie leider noch kein so großes Thema. Umso mehr freut es mich, dass das Interesse immer weiter wächst.

… wieso ist es das jetzt geworden?

Das Thema ist viel mehr in den Fokus gerückt. Man liest mehr dazu in den Medien, findet mehr Informationen dazu - das regt einerseits die Neugier an. Andererseits kommen aber auch viele Patientenbesitzer*innen auf uns Tierärzt*innen zu und sagen, dass sie es erstmal mit einem pflanzlichen Präparat probieren wollen- meist aufgrund der geringeren Nebenwirkungen und der guten Verträglichkeit und Akzeptanz der Tiere. Denn wie wir wissen, greifen Tiere in freier Wildbahn intuitiv zu den Pflanzen, die ihnen gut tun und sie stärken und unterstützen.

Was würdest du anderen Tierärzt*innen raten, die sich für das Thema interessieren?

Das, was viele ja auch schon machen - Kolleg*innen ansprechen und Weiterbildungen besuchen und dazulernen! Ich würde es wirklich jedem und jeder meiner Kolleg*innen ans Herz legen, sich in diese Richtung weiterzubilden. Es macht einfach mehr Spaß, im Alltag diesen etwas größeren Werkzeugkoffer an der Hand zu haben.